Für lange Zeit war Twitter ein tägliches Ritual in meinem Alltag. Meine Reise dort begann im Jahre 2009 und über viele Jahre hinweg habe ich tausende von Tweets geschrieben und beantwortet. Ich schrieb sogar einen Bot für tägliche Zufallszitate.

Ein wenig Zeitverschwendung war es schon damals, aber auch irgendwie bereichernd und eine Quelle für Informationen, die es anderswo gar nicht oder erst zeitverzögert gab. So erinnere ich mich zum Beispiel an eine quasi-Liveberichterstattung in den sozialen Medien zu Demonstrationen auf dem Maidan oder in Belarus.

Dann kaufte Elon Musk Twitter und veränderte die Plattform für immer. Nicht zum Besseren. Nach den letzten Ereignissen im Rahmen der Vereidigung des Präsidenten ist für mich ein Punkt erreicht, wo ich nicht mehr Teil dieser Plattform sein will.

Motivation und Hintergründe

Ich möchte hier nicht zu politisch werden, aber meine Beweggründe kurz beschreiben. Alles begann schon mit der Übernahme der Plattform. Die rigide Hire and Fire-Mentalität und Musks verbale Entgleisungen hatten mich schon kurz darauf zum Zweifeln gebracht, ob das noch „meine“ Plattform sein sollte.

Musk ließ nicht nur seine eigenen Beiträge bevorzugt anzeigen, er kündigte praktisch das gesamte Moderationsteam, welches die Aufgabe hat, gegen Hassrede und Missbrauch auf der Plattform zu arbeiten. Die gesamte Debattenkultur auf der Plattform verschlechterte sich zusehends und auch viele Werbetreibende wurden dadurch abgeschreckt. Es machte einfach keinen Spaß mehr.

Auch Elon Musk selbst radikalisierte sich offenbar immer mehr und unterstützte selbst auch antisemitische Inhalte. Das bestärkte immer mehr Organisationen und Privatpersonen sich von Twitter / X zurückzuziehen.

Im Wahlkampf 2025 unterstützte Musk die AfD, was als Einmischung und womöglich auch als illegale Parteispende gewertet werden kann. Als er nun auch noch zur Amtseinführung von Donald Trump einen Hitlergruß zeigte, war dies für mich der letzte Sargnagel für diese Plattform.

Also war es Zeit für den X-odus, den Fortgang von Twitter / X.

Twitter / X-Account vollständig löschen

Die einfachste Option um Schluss zu machen, ist seinen Account auf der Plattform zu deaktivieren. Wenn man sich dann innerhalb von 30 Tagen nicht erneut einloggt, wird dieser gelöscht. Das kann man einfach im Backend unter „Mehr > Dein Account > Deinen Account deaktivieren“ durchführen:

Die Deaktivierung muss zudem noch mit dem eigenen Passwort bestätigt werden:

Bestätigt man diese Abfrage und wartet dann die 30 Tage ohne erneuten Login ab, so wird der Account dauerhaft und unwiederbringlich gelöscht.

Alle Tweets löschen und den Account behalten

Eine Alternative kann es sein, dass man nur seine Tweets löscht und den Account als stilles Mahnmal bestehen lässt. Ein Gedanke könnte sein, dass man damit vermeiden will, dass jemand anders in der Zukunft den gleichen Accountnamen nutzt.

Oder man will vielleicht einen Hinweis für seine Follower hinterlassen, auf welchen anderen Plattformen man zu finden ist, zum Beispiel, weil man zu Bluesky gewechselt ist.

Grundsätzlich kann man die Löschung einfach manuell im Backend von Twitter / X durchführen, allerdings kann das bei tausenden von Tweets sehr lange dauern. Daher gibt es einen besseren Weg, bei dem das Tool Cyd genutzt wird. Hierfür muss man zunächst ein Archiv im Backend anfordern:

Die Bereitstellung dauert mindestens einen Tag und man erhält eine E-Mail, wenn das Archiv zum Download bereit steht:

Über den Link lässt sich dann ein ZIP-Archiv herunterladen, welches Cyd benötigt, um die Tweets löschen zu können. Aber dafür brauchen wir das Tool erstmal.

Cyd herunterladen und installieren

Das Tool lässt sich einfach von der Download-Seite von Cyd herunterladen. Für andere Betriebssysteme (Windows oder MacOS) bekommt man hier einen Downloadlink. Für mein Linux Mint (debianbasiert) kann ich es bequem per apt herunterladen:

# Import the signing key
curl -fsSL https://releases.lockdown.systems/signing-key.asc | sudo gpg --dearmor -o /usr/share/keyrings/lockdown-systems-archive-keyring.gpg

# Add the repository
echo "deb [signed-by=/usr/share/keyrings/lockdown-systems-archive-keyring.gpg] https://releases.lockdown.systems/debian/ prod main" | sudo tee /etc/apt/sources.list.d/lockdown-systems.list

# Install Cyd
sudo apt update
sudo apt install cyd

Die Installation ging bei mir relativ zügig und benötigt etwa 400 MB Speicherplatz.

Alle Tweets mit Cyd löschen

Die Verwendung des Tools ist relativ selbst erklärend. Zunächst muss man eine Datenbank anlegen und dort das heruntergeladene ZIP-Archiv importieren, damit Cyd den Bestand an Tweets kennt.

Hat der Import geklappt, zeigt Cyd die Anzahl der Tweets und Retweets rechts an:

Anzeige von Cyd nach dem Import

Im gezeigten Bild sind die meine Tweets bereits gelöscht, weil der Prozess wirklich sehr nachvollziehbar ist und ich vorher keinen Screenshot gemacht habe ;) Wenn du eine Schritt-für-Schritt-Anleitung suchst, schau gern in diesem Artikel von heise.de nach, von dem ich erst über Cyd erfahren habe.

Die Löschung dauert eine Weile, da Cyd keine API nutzt, sondern Twitter/X quasi im Browser fernsteuert. Während Cyd arbeitet, kann man der Löschung zusehen, man erlebt nochmal seine ganze Twitter-Reise im Schnelldurchlauf. Das war eine durchaus interessante Erfahrung, also gönnt euch das, wenn ihr dabei seid.

Sind wir damit schon fertig?

Cyd bietet noch mehr Optionen, aber diese benötigen einen kostenpflichtigen Premium-Account und sind für einen reinen Ausstieg, also eine komplette Löschung der Tweets nicht notwendig. Mit diesen Funkionen kann man aber z.B. Likes und Direktnachrichten löschen, wenn einem dies wichtig ist.

Zumindest die Direktnachrichten hab ich einfach manuell gelöscht, da ich diese Funktion kaum genutzt habe. Zudem habe ich mein Profil ein wenig bearbeitet, so dass es auf meinen Weggang und meinen Bluesky-Account hinweist.

Danach bin ich noch die Liste meiner Abos durchgegangen und habe jeden Kontakt einzeln entfolgt, nachdem ich geschaut habe, ob er ebenfalls schon auf Bluesky ist. Fast die Hälfte meiner Kontakte waren schon vertreten, wobei nicht alle aktiv sind.

Und weil ich schon mal dabei war, habe ich auch gleich noch die Share-Optionen im Social Share Plugin hier im WordPress angepasst und ein paar Links auf der Website angepasst, damit sie nicht mehr auf das alte Twitter-Profil zeigen. Ordnung muss sein!

Fazit

Auch wenn es für einen kurzen Moment schmerzhaft war zu sehen, wie Cyd meine rund 5000 Tweets einen nach dem anderen vernichtete, so bin ich doch sehr zufrieden, endlich nicht mehr auf Twitter / X vertreten zu sein und ich hoffe, dass noch viele weitere Nutzer diesem Schritt gehen werden, um die Plattform langsam aber sicher, immer mehr von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Nachtrag

Während ich diesen Artikel schreibe, kündigt Micha Lee, einer der Entwickler bei Lockdown Systems LLC an, dass Cyd nun Open Source und der Quellcode über GitHub verfügbar ist. Vermutlich wird das keiner von denen lesen, aber vielen Dank an dieser Stelle für euer Engagement :)